Antikapitalistische Herausforderungen in einem Naherholungsgebiet einer kapitalistischen Metropole

Das Fünfseenland dient nicht nur den Münchner*innen als Naherholungsgebiet, sondern auch vielen finanziell erfolgreichen Menschen als Wohnsitz – oder Zweitwohnsitz – in unmittelbarer Nähe zur Metropole München. So sind sowohl die Mieten, als auch die Grundstückspreise der Gemeinde Starnberg vergleichbar mit den Miet- und Grundstückspreisen in München. Überall im Landkreis, in Starnberg, Herrsching, in der Gemeinde Wörthsee und in vielen anderen Orten dominieren Villen das Bild einzelner Ortsteile. An den Ufern vieler Seen reihen sich Privatgrundstücke, die häufig nur wenige Monate im Jahr bewohnt oder genutzt werden, aneinander. Kurz gesagt: Das Münchner Naherholungsgebiet „Fünfseenland“ ist vor allem ein Erholungsgebiet und Rückzugsgebiet für diejenigen, denen es gelungen ist, vom Kapitalismus zu profitieren (Der Landkreis Starnberg hat bundesweit das höchste Pro-Kopf-Einkommen).

Die gesamte Raumordnung des Fünfseenlandes ist geprägt von diesem Rückzugsortcharakter für finanziell Erfolgreiche. Hier gibt es so viele Golfplätze wie kaum irgendwo – insgesamt 8 Golfplätze im Fünfseenland selbst und 8 weitere in direkter Umgebung. Nun sagt natürlich der Golfplatz-Index einer Region noch nicht direkt etwas über die finanziellen Verhältnisse der Einwohner*innen dieser Region aus, wohl aber bestimmt er die Raumordnung dieser Region maßgeblich. Golfplätze, Natur, Yachtclubs, Villenviertel, gepflegte Vorgärten, weiße Hausfassaden, nur hin und wieder wird dieser Charakter durch Mehrparteienhäuser, die allerdings meist in eigenen Ortsteilen untergebracht sind, sowie die wenigen Treffpunkte einer rebellischen Jugendkultur, durchbrochen.

Für all diejenigen, die eine solche Atmosphäre des geordneten gutbürgerlichen Lebens beengend finden, gibt es im Fünfseenland also kaum Raum. Zusammen mit der finanziellen Verdrängung von Menschen mit geringem oder keinem Einkommen durch Mietpreise und hohe Lebenshaltungskosten sorgt diese Enge also für einen Fluchtreflex all derjeniger, die sich nicht als Teil des wohlsituierten Bürgertums verstehen.

Welche Möglichkeiten des antikapitalistischen Engagements bleiben also, wenn das Leben in einer Region so stark kapitalistisch geprägt ist? Fest steht, dass Engagement gegen vermeintliche Akteur*innen dieser Verdrängungsprozesse nicht zielführend sein kann. Mit ihrem Lebensstil mögen die im Fünfseenland lebenden Menschen die kapitalistischen Verdrängungsprozesse begünstigt haben, verantwortlich dafür sind sie jedoch nicht. Schließlich drehen auch die finanziell weniger erfolgreichen Personen munter mit am Hamsterrad der Arbeit, das die Menschen im kapitalistischen System gefangen hält.

Antikapitalistisches Engagement muss also die Durchbrechung der kapitalistischen Raumordnung, die im Fünfseenland noch deutlicher zutage tritt, als an vielen anderen Orten, anstreben, indem alternative Räume geschaffen und gestaltet werden. Dabei gilt es Räume für diejenigen zu schaffen, die in der bestehenden Raumordnung keinen Platz haben, weil sie sich durch diese entweder eingeengt fühlen, oder sich ein Leben innerhalb dieser nicht leisten können. Andererseits darf dabei jedoch kein umgekehrter Verdrängungsprozess angestoßen werden, in dem diejenigen vertrieben werden, deren Raumordnung durchbrochen werden soll, denn Antikapitalismus bedeutet nicht, „Kapitalist*innen“ zu vertreiben. sondern Herrschaftsverhältnisse, die durch eine ungleiche Verteilung von Kapital bestehen, zu durchbrechen. Dafür ist, soll es zu keinem gewaltsamen, revolutionären Umsturz der Machtverhältnisse kommen, womit ja nur neue Machthaber*innen gefunden werden würden, nicht aber Herrschaft dauerhaft durchbrochen werden würde, eine Veränderung des Denkens aller Parteien notwendig.

Für den antikapitalistischen Protest bedeutet das also, dass eine Anknüpungsfähigkeit an anarchistische Ideen auch gegenüber denjenigen erhalten bleiben muss, die von den wirkenden Verdrängungsprozessen nicht betroffen sind, ja gegenüber denjenigen, die als finanziell erfolgreich im kapitalistischen System gelten.

Das ist ein schwieriges Spannungsfeld, schließlich ist die gleiche Raumordnung, die zur Schaffung antikapitalistischer Räume eingerissen werden soll, auch die. die von denjenigen, gegenüber denen mensch anknüpfungsfähig bleiben will, als angenehme Raumordnung empfunden wird. Es bedarf also der Schaffung von Räumen, die von allen Seiten als angenehm wahrgenommen werden, oder deren Schaffung, ebensowenig wie deren Existenz diejenigen zu stark beeinträchtigt, die sich in diesen Räumen nicht wohl fühlen.

Aber auch wenn wir hier vor einer großen Herausforderung stehen, sind wir sicher, dass es schließlich einen Konsens aller Seiten geben wird. Spannend ist diese Herausforderung auf jeden Fall.